# 16 Anita Witek

O.T. Constanze

White Paper Museum ANITA WITEK 

O.T. (CONSTANZE)

Interview -  Anita Witek und Caroline Heider

 

C: Deine Arbeit für das White Paper Museum heißt  Constanze ?  Nach dem Modemagazin, dass Du dafür verwendet hast?

A: O.T. (Constanze)

C: Woher hast Du das Magazin und aus welchem Jahr stammt es?

A: Das Magazin stammt aus der Sammlung meiner Großmutter und ist aus dem Jahr 1956.

C: Die ganze White Paper Museum- Raumecke funktioniert diesmal als Steher für den physischen Magazinkörper?

A: Ja, die Form deines Museums hat sich angeboten, zu einem Teil der Arbeit zu werden. Durch die Perforationen, die ich am Magazin vorgenommen habe, wird es noch fragiler, und so gibt ihm die Raumecke eine Stütze; erst die Ecke macht das Stehen des Magazins überhaupt möglich. So verschmilzt es durch das Anlehnen mit der Museumswand und wird so zu einem Objekt, einem skulpturalen Element.  Eigentlich kann die Zeitschrift mittlerweile schon fast als museales Objekt gelesen werden, seit die Versorgung mit adäquater Information auf die sozialen Kanäle gewandert ist. Der Grund, warum ich diese Zeitschrift auch in einem Video Clip zum Flattern gebracht habe, war, um eine Verbindung zu zumindest einem aktuellen Äquivalent herzustellen.  Ein TikTok Video. Eine Social Media Plattform, die nun auch wohl bis zu einem gewissen Grad Zeitschriften ersetzt und hier als Platzhalter steht. Was denkst du, welche Rolle Zeitschriften in Zukunft spielen werden?

C: Eine gute Frage. In meiner Serie zur Vogue habe ich mich 2005 intensiv mit der Ästhetik von angewandter Fotografie in Magazinen beschäftigt. Die Vogue war zu dieser Zeit bereits ein Massenmagazin, sehr vereinheitlicht in der Narration, immer gleiche Muster wiederholend. Magazine – egal ob Mode- oder Fotomagazine – sind Multiplikatoren gesellschaftlichen Handelns, da sie Vorbilder zeigen oder Anleitungen kolportieren. In Zeiten des Selfpublishing entstehen tausende neue Bilder und Videos – womit wir bei der Aktualität von TikTok wären. Die Funktion von Magazinen begreife ich als Teil der Bildzirkulation (nach Vilém Flusser), die sich verändert mit den Techniken und Moden der jeweiligen Zeit verändert. 2000 waren noch die Printmedien führend, 2010 das WWW, 2022 die Social Media und das bewegte Bild. Insofern denke ich, Zeitschriften werden mehrheitlich digital rezipiert werden, da sie eben eine Schrift der Zeit und schnelllebig sind. Digitale Techniken offerieren auch ganz neue Erscheinungsbilder, wie z.B. Videos, Animationen, Podcasts etc. zu inkludieren. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass wir Menschen als Körper-Geist-Einheit gerne ein haptisches Erlebnis genießen, einen Magazin- oder Buchkörper in den Händen halten. Deshalb wird das Printmedium nicht sterben. Was fesselt Dich an der Ästhetik der Frauenzeitschriften dieser Zeit?

A: Ich würde meine Faszination an Zeitschriften nicht an Frauenzeitschriften festmachen wollen, ich liebe historische Zeitschriften generell, weil sie eine Art der Zeitreise ermöglichen, die noch viel unmittelbarer auf mich wirken, als Bücher das können. Die Kombination aus Bild/Text repräsentiert unsere Kulturgeschichte und vermittelt uns auf einer unterhaltsamen Ebene, wie sich die Gesellschaft entwickelt hat. So ist die Information für jeden hindernisfrei zugänglich.

C: Umso interessanter ist bei Deiner Arbeit “O.T. (Constanze)”, dass trotz maximaler Zerlegung oder Entfernung maßgeblicher Bildteile die Ästhetik des Magazins die Stimmung der bestimmten Zeit transportiert. Es macht mir großen Spaß, mich mit ihr näher zu beschäftigen. Durch Deine Cut-Outs von einzelnen Bildelementen werden neue Bezüge zwischen einzelnen Seiten und ihren Inhalten möglich. Die Narration der Herausgeber:innen wird unterlaufen und in Fragmente zerlegt. Eine Überschrift wie „Die neue Frühjahrsmode“ oder Beschreibungen von Kleidungsstücken bleiben lesbar. Ist es wichtig, wofür das Magazin früher einmal stand?

A: Ich bin aufgewachsen mit Magazinen dieser Art, da eine meiner Großmütter Schneiderin war und die Schnitte aus diesen Zeitschriften als Vorlagen verwendet hat. ‚Constanze‘ war ein Magazin, das in den späten 40iger Jahren gegründet wurde, und mit einer fast ausschließlich männlich besetzten Redaktion Inhalte für Frauen produzierte. Als ‚Constanze‘ wurde die Zeitschrift bereits eingestellt, bevor ich auf der Welt war, sie wurde vom Verlag aber zu ‚Brigitte‘ umgewandelt, einer Frauenzeitschrift, die wir nach wie vor kennen.

Der interessante Punkt für mich beim Lesen der Artikel in den alten Zeitschriften ist, meine Großmütter als junge Frauen dabei mitzudenken und plötzlich zu verstehen, welcher Zeitgeist ihre Ansichten geprägt hat. Und dadurch teilzuhaben an der rasanten Entwicklung vom Mangel der Nachkriegszeit bis hin zum Überfluss der Wirtschaftswunderjahre. Und auch besser zu verstehen, dass diese Geschwindigkeit auch keinen Platz zum Aufarbeiten des erfahrenen Traumas ermöglichte.

 C: Wie wichtig sind Dir feministische Themen, die mit den Frauenbildern einhergehen, die in Modemagazinen vermittelt werden?

A: Für mich sind insbesondere jene Geschichten interessant und aufschlussreich, die veranschaulichen, in welcher Position Frauen in den 1950er-Jahren waren. Speziell, dass Frauen, die im Krieg durch den Mangel an Männern sehr selbständig agieren mussten, nun durch diese Zeitschriften angehalten wurden, wieder ihren Platz im Haushalt zu finden, sich mit adretter Kleidung und neuen Küchengeräten zu beschäftigen, anstatt einen gleichberechtigten Status am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu bekommen.

C: Warum nimmst Du hier oft die Personen weg?

A: Weil meine Aufmerksamkeit dem Unsichtbaren, dem Nebensächlichen, dem Beiwerk, den Randzonen, dem Unbewussten, dem Vergänglichen, der Instabilität gilt. Für mich ist meine Arbeitsweise eine Haltung bei der es um das ein Hinwenden und Hervorheben von Dingen geht, die zum Übersehen gemacht werden.

 C: Wie kann man sich Deinen Arbeitsprozess vorstellen?

A: Mein Arbeitsprozess orientiert sich zumeist am Projekt für das ich eingeladen werde. Entweder entwickle ich Installationen speziell für die jeweiligen Räumlichkeiten und/oder verwende Materialien die im Zusammenhang mit der jeweiligen Institution stehen, wie z.B. im Leopold Museum, im Kunsthaus, etc. Ich arbeite aber auch immer wieder mit Materialien die ich spontan finde, wie zum Beispiel für meine kommende Ausstellung im Lentos Museum, für die ich viele Zeitschriften aus dem frühen 20. Jahrhundert, sowie populärwissenschaftliche Magazine aus den 1980er Jahren als Ausgangsmaterial verwende. Ich arbeite mit Bildern die in der Vergangenheit von Zukunftsvisionen erzählt haben und unterziehe sie im aktuellen Moment einem Gegenwartscheck. Mit dem Fragmentieren, Überlagern und Collagieren produziere ich eine Erinnerung an eine Vergangenheit aus Bildern einer Zukunftsvision. Da sich die Galerie in den Untergrund-Räumen des Museums befindet und kein Tageslicht hineinfällt versuche ich mit dieser Qualität des Ambientes zu arbeiten und eine Art Sanctuary, einen Rückzugsort zu schaffen, an dem man sich aus einer vergangenen Utopie in eine zukünftige imaginieren kann.

C: Welchen Stellenwert hat die Fotografie für Dich?

A: Die Fotografie hat für mich den Stellenwert des Fixierens, ein Einfrieren des Moments im ganz traditionellen Sinne. Die Zeit mit Hilfe einer Technik festzuhalten, Evidenz zu kreieren, einen Moment das Gefühl zu haben, dass ein Jetzt existiert. Stillstand zu erzeugen im Gegensatz zu Bewegtbild.

C: Wie wichtig sind Dir Möglichkeiten der Größenverschiebungen durch die Fotografie. Könnte die „Constanze“ auch eine begehbare Installation sein?

A: Ja, das könnte sie. Am White Paper Museum finde ich so interessant, dass die Ebene der Dimensionierung verschwimmt. Jeder hat eine Idee davon, was als Museum gilt. Aber es gibt auch eine internationale Definition, laut ICOM, was ein Museum sein sollte, die gerade massiv überarbeitet und angepasst wurde. Ein Museum ist ja auch kein neutraler Ort, er spiegelt auch Perspektiven und Haltungen einer Zeit wider, agiert als Ort der Inklusion und Exklusion. Auf jeden Fall sollte ein Museum im Gegensatz zur Zeitschrift kein kommerzieller Ort sein. War das für dich wichtig in Bezug auf dein White Paper Museum?

C: Ja, sehr. Institutionskritische Ansätze in der Kunst haben mich seit meiner Studienzeit maßgeblich beeinflusst. Ich versuche immer mitzudenken, wer sieht wann und wo unter welchen Bedingungen ein Bild an. Und wer hat erst gar keinen Zugang, dieses Bild anzusehen. Institutionen, nicht nur das Museum, spielen in diesem Prozess maßgebliche Rollen. Ich habe das White Paper Museum als eine sichtbare Plattform für einen ungefilterten Austausch unter Künster:innen konzipiert. Ein White Paper ist ein Weißbuch. Weißbücher sind Schriften von Professionist:innen zu einem bestimmten Thema ihres Fachs, auf die sich Entscheidungsträger stützen können. Und das „Museum“ kam zum „White Paper“ dazu, weil auch ich im Rahmen des Projekts eure Beiträge bewahren werde. Nur besteht die Sammlung nicht aus den Werken selbst, sondern aus der fotografischen und schriftlichen Dokumentation der Werke. Der Wert der einzelnen haptischen Teile der Kunstwerke wird hier nicht zum maßgeblichen Kapital, sondern das Wissen, das Reden darüber. Außerdem gefiel mir der Gedanke des Modells. Das White Paper Museum der Generation II, an der Du teilhast, hat die Grundfläche eines A4 Blatts. Hier ist es leicht möglich material- und kostengünstig zu arbeiten und über die Fotografie die reale Dimension zu vergrößern. In Deinen Ausstellungen spielst Du öfters in großformatigen Fotoinstallationen mit den Museumsräumen, die ja auch meist überdimensioniert sind, wie Kirchenhallen.

A: Ja, es ist mir ein Anliegen, dass meine Arbeiten mit dem Museumsraum für die Dauer der Ausstellung quasi zu einem Objekt verschmelzen. Die Form Deines Museums bot sich sehr dafür an.

Wien, im September 2022. Lektorat: Ruth Horak